Querschnittlähmung: Unterschied zwischen den Versionen
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== Spinaler Schock == | == Spinaler Schock == | ||
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Version vom 28. November 2010, 19:39 Uhr
Grundlagen
- ca. 1600 Patienten/Jahr in D
- Ursachen:
traumatisch 75% | nicht traumatisch 25% |
|
|
- Verteilung:
- 38% Tetraplegie
- 62 % Paraplegie
- Frauen/Männer 30/70
- 80% < 40 Jahre
- Verlauf (bei hoher Läsion):
Hypertension | Dauer: wenige Minuten |
Spinaler Schock | Hypotone Krisen, schlaffe Lähmung, Ausfall der MER, Kontrollverlust von Blase und Mastdarm, Dauer: Wochen bis Monate |
Spastik, Hyperreflexie | Spastisch überhöhter Muskeltonus, übersteigerte MER, autonome Hyperreflexie (z. B. Blutdruckspitzen bei Manipulation an der Blase) |
Erstversorgung
Höhenlokalisation | |
---|---|
C4 | Diaphragma |
C5 | M.deltoideus, Ellenbogenbeuger |
C6 | Handstrecker |
C7 | Ellenbogenstrecker |
C8 | Fingerbeuger |
T1 | Fingerabduktoren |
L2 | Hüftbeuger |
L3/4 | Kniestrecker |
L4/5 | Fußheber |
L5 | Großzehenheber |
S1 | Fußsenker |
S2 | Grosszehensenker |
- V.a. WS-Verletzung:
- Unfallmechanismus (Auffahrunfall, Fahrzeugüberschlag, Badeunfall, Sturz aus großer Höhe, Kopfverletzungen mit Stauchungen der Wirbelsäule)
- Fehlen von Spontanbewegungen
- Atmung (z.B. paradoxe Atmung)
- Transport:
- Rückenlage
- fixierte Kopf-/WS-Fehlstellung belassen
- Kopf unter ständigem Zug in leichter Reklination
- Schanzkrawatte
- Schaufeltrage
- Vakuummatratz
- ggf. Bergesack, Spineboard eingesetzt
- Cave bei Intubation
- neurologischer Status:
- Glasgow Coma Scale (GCS)
- Höhenlokalisation motorisch/sensibel
- komplett/inkomplett (Analreflex)
- Schmerz-/Schocktherapie:
- Volumen
- positiv inotrope Substanzen: Dopamin ( 2-10 µg/kg/h )
- Methylprednisolon (NASCIS-III-Schema):
- Bolus 30 mg/kg KG so früh wie möglich (< 8 h)
- Erhaltungsdosis 5,4 mg/kg KG/h für weitere 23 h
- nur jüngere. ansonsten gesunde Patienten
- rel. KI: akutes SHT, perforierende Verletzungen, floride Infekte, Komorbiditäten (DM, HI)
Spinaler Schock
- 4-6 Wochen posttraumatisch
- Vasomotorenzentrum
- vegetative Regulationsmechanismen
- oberhalb Th 6: Sympathikolyse
- hypotone Kreislaufregulationsstörungen → verstärkte Ischämie des Rückenmarks
- Herzrhythmusstörungen, Bradykardie bis Asystolie
- Dysregulationen (autonome Hyperreflexie)
- Atonie der ableitenden Harnwege
- partielle tubuläre Insuffizienz der Nieren (primäre Flüssigkeitsretention , sek. Polyurie)
- Magen-Darm-Atonie mit Ileussymptomatik
- innersekretorische Störungen (Hyperglykämie, Entgleisung des Elektolytstoffwechsels)
- Störungen der Thermoregulation
OP-Indikation
- Neurologisch:
- neue Lähmung nach freiem Intervall
- deutliche und rasche Zunahme einer Lähmung oder Hypästhesie von mehr als 3 Etagen
- Übergang von inkompletter zu kompletter Lähmung
- offene WS-/Rückenmarkverletzung
- Statisch:
- Gefahr bleibender Instabilität der WS
- grobe Dislokation
- schwerste Zerreißungen und WS-Trümmerfrakturen
- Sicherung der Pflegefähigkeit bei Polytrauma mit SHT (mangelnde Kooperationsfähigkeit und unruhiger Patient)
Atmung
Verletzung unterhalb C4
- Zwerchfellmotorik erhalten → suffiziente Spontanatmung möglich
- AMV wenig beeinträchtig, aber Ausfall Bauch-/Intercostalmuskulatur → Abhustefähigkeit ↓ → Risiko für Sekretretention, Minderbelüftung, Atelektasen
- Therapie:
- frühzeitige Atemtherapie stündlich erforderlich
- bewußtes Abhusten durch manuelle, rhythmische Kompression und Entlastung des Thorax
- Wechsellagerungen, Oberkörper Hoch-/Tieflagerung
- Anfeuchten der Atemluft
- Vibrationsmassagen und Abklatschen
- Totraumvergrößerung
- Sekretolytika
Verletzung oberhalb C4
- Ausfall der Zwerchfellatmung → Intubation, maschinelle Beatmung notwendig
- Erlernen einer Spontanatmung durch Gebrauch der Atemhilfmuskulatur:
- M. sternocleidomastoideus
- Mm. scaleni (soweit intakt)
- M. trapezius
- Platysma
- Mm. infrahyoidei und suprahyoidei
- Mm. pectorales (C5-Th1)
- Mm. serrati ant. (C5-C7)
- M. latissimus dorsi (C6-C8)
- Zwerchfellschrittmacher
- direkte Diaphragmastimulation (DDS):
- Elektrodenimplantation kaudales Diaphragma
- 4 Elektroden, an Insertionsstelle N. phrenicus
- indirekt: Phrenicusstimulation (phrenic nerve stimulator = PNS)
- Voraussetzung: genügend intakte motorische Vorderhornzellen des N. phrenicus
- 4 Elektroden pro Nerv, rotierendes/variables Erregungsmuster
→ Stimulation unterschiedliche Anteile von Nerv/Zwerchfells, Vermeidung unphysiologische Stimulation mit Ermüdung - Programm im Sitzen und Liegen unterschiedlich
- direkte Diaphragmastimulation (DDS):
Blase
- siehe auch Harninkontinenz
- Akutphase: schlaffe Blasenlähmung
- Einmal-Katheter alle 4h
- evtl. BDK oder suprapubischer Katheter
- evtl. Triggern (Reflexentleerung durch rhythmisches Beklopfen oberhalb der Symphyse)
- Urodynamik: Detrusoraktivität?
- Infektionsprophylaxe durch ausreichende Harnmenge (> 1,5 l/24h) und Ansäuern des Urins
- Cave:
- schlaffe Lähmung → Kreatinin ↓
- Spastik → Kreatinin ↑
Darm
- spinaler Schock:
- Retention von Stuhlgang, da keine reflektorische Aktivität
- Stuhlentleerung regelmäßig, mindestens jeden zweiten Tag → Prostigmin (s.c. 0,5 mg 3-4x tägl., Glyzerin supp)
- danach entweder reflektorischer oder schlaff gelähmter Defäkationsmechanismus
- Reflektorischer Defäkationsmechanismus:
- Kontraktion des Rektums auf Füllung → Relaxation des Anus
- Darmtraining unter Ausnutzung bestehender Reflexe:
- postprandial (Magenfüllung) → Kolonaktivität (gastro-kolischer Reflex)
- rektale/anale Reize (Zäpfchen, Mikroklistiere)
- schlaff gelähmter Defäkationsmechanismus:
- fehlender Tonus im analen Sphinkter → unkontrollierter Stuhlabgang
- gastro-kolischer Reflex vorhanden → postprandiale Entleerung
- fehlende rektale/anale Aktivität → Entleerung durch Erhöhung des intraabdominellen Druckes (Bauchpresse) oder manuelles Ausräumen
- Obstipation häufig erwünscht
- jeweils ballaststoffreiche Kost + ausreichend Flüssigkeit
- Kolonmassage unterstützend
Komplikationen
Thrombose
- Thromboserisiko ↑↑ in den ersten 4-8 Wochen
- Thrombogenetische Faktoren:
- Verlust des Vasomotorentonus
- Ausfall der Muskelpumpe
- vegetative Steuermechanismen gestört
- Langzeit-Immobilisierung
- eingeschränkte Atemfunktion (bei cervikalen/thorakalen Verletzungen) → verringerte Sogwirkung auf den venösen Rückfluss
- erhöhter intraabdomineller Druck durch Blasen-/Mastdarmlähmung → Meteorismus, Zwerchfellhochstand
- Hyperkoagulabilität durch Gewebsthrombokinase ↑↑ bei Begleitverletzungen (Frakturen, Weichteilverletzungen)
- chronisch-hypoxische Gefäßwandschädigung durch Lagerung
- Thromboseprophylaxe:
- Heparin-Perfusor 20.000 I.E./d
- Enoxaparin 1 x tgl. 40 mg (nicht gewichtsadaptiert) 3 Monate nach Unfall, 20 mg über weitere 3 Monate
- Fraxiparin 1 x tgl., gewichtsadaptiert, bis 6 Wochen nach Vollmobilisation
- falls Langzeitprophylaxe erforderlich: orale Antikoagulation, Ziel-INR: 2-3
heterotope Ossifikation (Paraosteoarthropathie)
- periartikuläre Knochenneubildung (Gelenke selbst nicht betroffen)
- Ursachen unklar, daher keine Prophylaxe möglich
- v.a. Hüfte/Oberschenkel, seltener Ellenbogen/Schulter
- Symptome: diffuse Gelenkschwellung, lokale Reizung, fortschreitende Bewegungseinschränkung
- Diagnose: AP ↑, Dreiphasenszintigramm
- Therapie:
- Bestrahlung (2 Gy an 5 aufeinanderfolgenden Tagen) + Indomethacin (100 mg 3x tägl.) über 3 Monate
- nach Abschluss der Knochenbildung ggf. operative Entfernung zur Verbesserung der Mobilität
autonome Dysreflexie
- Läsion oberhalb Th6 → Unterbrechung der efferenten sympatischen Bahnen
- bei Reizung (Blase, Haut, Darm, psychische Faktoren) → spinaler sympatischer Reflex
- fehlende zentrale Hemmung → massive Reizantwort ("sympatischer Sturm") → hypertone Krise
- Vasokonstriktion unterhalb Läsion
- RR ↑↑ (bis 300/200 mmHg)
- UEX kalt/blass
- Reizung von Barorezeptoren (Aortenbogen, ACI) → Gegenregulation durch Vasodilatation oberhalb Läsion
- starke Rötung des Gesichtes
- starkes Schwitzen oberhalb der Läsion
- verstopfte Nase
- pochende Kopfschmerzen
- Vagusreizung → Bradycardie
- Vasokonstriktion unterhalb Läsion
- Ursachen für autonome Dysreflexie:
- Blase: Überdehnung, Entzündung, verstopfter Katheter
- Darm: Überfüllung → Ausräumen
- Haut: eingewachsene Zehennägel, Druckstellen, zu enge Schuhe/Kleidung
- Uterus: Ende der Schwangerschaft, Entbindung
- Intensive sportliche Betätigung
- Therapie:
- Reiz beheben
- Patienten aufrecht setzen
- medikamentös
- Prophylaxe:
- Blasen-/Darmregulation
- Dekubitusprophylaxe, Haut-/Nagelpflege
- passende Kleidung
Dekubitus
- Lagerung!
Rehabilitation
Lagerung
- regelmäßige En-bloc-Drehung des Körpers (alle 2-3 Stunden)
- Spezialbett (Dreh-/Sandwich-/Wasserbett, Packbetten aus einzelnen Schaumstoffquadern)
Arme/Hände (Tetraplegie) |
Schultern |
|
Ellenbogen |
| |
Hände | "Funktionshand":
| |
Beine/Füße (Tetra-/Paraplegie) |
Hüftgelenke |
|
Kniegelenke |
| |
Sprunggelenke |
|
Funktionelles Training
- abhängig von der Läsionshöhe → Aufstellungen/Pläne vorhanden
- Kopfkontrolle: ggf. initial Halskrawatte
- im Rollstuhl
- im Kurzsitz
- im gestützten Langsitz
- im Unterarmstütz
- Balanceübungen
- Sitzbalance (C4)
- gestützter Langsitz: Beine vollständig aufliegend, Arme passiv neben/hinter Pat. plaziert, Rumpf leicht vorgeneigt
- ungestützter Langsitz: wie oben ohne Armabstützung; nur möglich, wenn ischiocruale Muskulatur nicht zu kurz
- gestützter Kurzsitz: OS vollständig aufliegend, Füße auf dem Boden, Arme seitlich/hinten gestützt
- ungestützter Kurzsitz: wie oben ohne Armabstützung
- Unterarmstütz
- Drehen (C5/6)
- Lagewechsel der Beine im Langsitz
- zum Sitz kommen (C5/6)
- Transfers: ggf. Rutschbrett
- Bett-Rollstuhl
- Rollstuhl-Bett
- Rollstuhl- Toilette: Galgen und Toilettenbügel erforderlich
- Rollstuhl-Auto (C 5/6)
- Rollstuhl-Boden
Steh-/Gehtraining
- Vorbereitung durch Stehbrett → Orthostase (Gähnen, kalter Schweiß, Blässe, Schwindel)
- → wirksame Prophylaxe gegen :
- Dekubitus
- ungenügende Körperkondition
- Kontrakturen
- Spastizität
- Thrombose
- Osteoporose
- Nieren-/Blasenproblematik
- Darmproblematik
- Hilfsmittel:
- lange Oberschenkelschienen, Oberschenkel-Schienen-Schellen-Apparate
- Rumpfkorsett
- Gehwagen/Rollator
- Reihenfolge:
- Barren
- hoher Gehwagen
- Rollator
- Unterarmgehstützen.
- Techniken:
- Swing-to: Hände greifen vor, Rumpf schwingt nach bis zu Händen
- Swing-through: Hände greifen vor, Rumpf schwingt durch, Beine weiter vorn als Hände
- Vierpunktgang
- gleiche Techniken auch mit UAG
- Treppen gehen in Swing-through-Technik.
- selbständiges Stehen/Gehen bei Läsion unterhalb C8/Th1
- bei höher gelegenen Läsionen → Hilfsmittel für zu Hause, Stehbrett/Stehbett
ADL-Training
- im Bett: Drehen, Lagern, Langsitz
- Transfers (Kurzsitz) und Mobilität
- Essen und Trinken
- Waschen
- An-/Ausziehen
- Kommunizieren: Lesen/Schreiben, Telefonieren, Computer bedienen
Ergotherapie
- Handfunktion bei Tetraplegischen Patienten: ab C5/6 Funktionshand möglich
- Greiffunktion durch Handgelenksextension → Fingerbeugung, Daumen dem Zeigefinger anlegt
- Grifftechniken:
- Zylindergriff (wie ein Kölschglas fassen)
- Lateralgriff (Gegenstand zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmen)
- Ligamentgriff (Gegenstand zwischen zweiten und dritten Finger geklemmt)
- Interlasinggriff (Gegenstand wird zwischen den Fingern durchgeflochten)
- wichtig: Vermeiden einer Krallenhand
Klassifikation nach Frankel
Grad | |
---|---|
A | Komplette Verletzung: keine motorische oder sensible Funktion unterhalb der Verletzungshöhe |
B | Erhaltene Sensibilität: Restsensibilität bis in sakrale Segmente |
C | Keine Gebrauchsmotorik: Restmotorik unterhalb der Verletzung, die aber nicht den Gebrauch der Extremitäten erlaubt |
D | Gebrauchsmotorik: Restmotorik erlaubt den Gebrauch der Extremitäten mit oder ohne Unterstützung |
E | Erholung: normale Motorik und Sensibilität. Pathologische Reflexe können persistieren |
AISA-Score
- http://boneandspine.com/wp-content/uploads/2009/08/asia-score-chart.png
- http://boneandspine.com/spine/what-is-asia-score-and-how-it-helps-in-classification-of-spinal-injury/