Neuroplastizität

Aus phys-med

Grundlagen

  • historisch: Lokalisations-/Irreversibilitätslehre (Broca, Brodman)
  • Plastizität: Fähigkeit, auf funktionelle/morpholigische Veränderungen modifizierte Organisationsstrukturen zu entwickeln
  • auch erwachsenes Gehirn in jedem Alter zu plastischen Anpassungsprozessen imstande
  • Gebrauchsabhängige Plastizität: vermehrter Gebrauch einer Extremität/Muskelgruppe (passive/aktive Beübung) ⇒ Vergrösserung der kortikalen Repräsentationen ⇒ Funktionsverbesserung
  • Läsionsinduzierte Plastizität: Kompensationsfaktoren zur optimalen Ausnutzung der intakt gebliebenen Strukturen ⇒ z.B. Vergrösserung der kortikalen Repräsentation von Muskeln proximal einer Amputation
  • Therapieinduzierte Plastizität: Vergrösserung der Repräsentationsareale durch Aufnahme einer physiotherapeutischen Behandlung sowie eine Verschiebung des Arealschwerpunktes, auch nach mehr als zwölf Monaten noch signifikante, therapeutisch induzierte Leistungsverbesserungen nachweisbar
  • Pharmakologische Förderung der Neuroplastizität:
    • Amphetamine: Einnahme unmittelbar vor intensiver Physiotherapie
    • L-Dopa retard (200 mg/d): motorisches Lernen
    • Piracetam (4,8 g/d): bei Aphasie nachgewiesen
    • SSRI: Antrieb, Stimmung, Mitarbeitsfähigkeit, motorische Lernleistung
    • Cave: Benzodiazepine → negativer Effekt auf Neuroplastizität und funktionelle Lernleistung

Mechanismen (Konzepte)

  • Vikariation (historisch): Übernahme gestörter Funktionen durch benachbarte Hirnareale
  • Funktionsübernahme durch andere motorische Areale ipsi-/kontralateral
  • Unmasking: Aktivierung latenter/redundanter neuronaler Verschaltungen (intraareal, innerhalb Minuten)
    • morphologische Veränderungen definierter kortikaler Repräsentationsfelder
    • vermehrte Aktivierung der nicht betroffenen Hemisphäre
    • kortikale Repräsentation paretischer Bereiche kurz nach Schlaganfallereignis verkleinert, während rehabilitativer Förderung Expansion
  • Diaschisis: Funktionsverlust eines von der primären Läsion weiter entfernt liegenden Hirnareals → Erholung möglich
  • Sprouting:
    • kollaterale Axonsprossung aus benachbarten intakten Nervenzellen
    • Wiederherstellung axonaler und dendritischer Nervenendigungen (Aussprossung von Nervenendigungen) geschädigter Zellen
      • im peripheren Nervensystem → Reinnervation, neue funktionelle Nervenverbindungen möglich
      • im ZNS erschwert:
        • Fehlen von "Leitschiene" (Schwann-Zellen) → aberrante synaptische Verbindungen
        • Barriere durch Narbengewebe (Gliazellen, Astrozyten)
        • unvollständige Remyelinisierung (Oligodendrozyten)
        • inhibitorische Enzyme (Oligodendrozyten)
  • Synaptische Mechanismen:
    • Neubildung von Synapsen im Rahmen des Sproutings
    • Mehrproduktion von Transmittern/Rezeptoren
    • Long-Term Potentiation (LTP)/long-term Depression (LTD): Verbesserung der Signalübertragung an Synapsen (synaptische Plastizität), stabilere strukturelle Verschaltungen → Unmasking
  • Neurogenese: Neubildung von Nervenzellen aus neuralen Stammzellen
  • Enriched environment: Anregung der Neuroplastizität durch Umgebungsbedingungen
    • soziale Interaktion
    • visuell/taktile/olfaktorische Stimulation
    • vielfältiges Materialangebot
  • Vigilanz: Patient alert/motiviert/aktiv → Noradrenalin↑ (Locus coeruleus)