Fibromyalgiesyndrom

Aus phys-med

Diese Seite ist im Wesentlichen eine Zusammenfassung der AWMF-Leitlinie "Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms" (siehe Weblinks)

Grundlagen

Chronic widespread pain (CWP)

  • meist assoziiert mit anderen körperbezogenen Beschwerden wie Druckschmerzempfindlichkeit, Steifigkeits-/Schwellungsgefühl (Hände, Füße, Gesicht), Müdigkeit/Schlafstörungen, GI-Beschwerden, Parästhesien, Ängstlichkeit/Depressivität, Kopfschmerzen/Migräne
  • Dimensionen: Häufigkeit, Dauer, Intensität, Zahl der Schmerzorte, schmerzassoziierte Behinderungen, körperliche und psychische Begleitsymptome
  • Kriterien (ACR):
    • Schmerzen > 3 Monate
    • Achsenskelett (HWS, BWS/Thorax, LWS)
    • rechte und linke Körperhälfte
    • oberhalb und unterhalb der Taille

funktionelles somatisches Syndrom (FSM)

  • "medically unexplained somatic symptoms" → ohne erklärende strukturelle Organschädigung oder biochemische Abweichungen
  • Beispiele:
    • Fibromyalgiesyndrom (FMS)
    • unspezifischer Rückenschmerz
    • Reizmagen-/Reizdarmsyndrom
    • Spannungskopfschmerz
    • Reizblase
    • chronischer Unterbauchschmerz

Fibromyalgiesyndrom

  • Definition mehrdimensional:
    • körperliche Symptome
    • seelische Symptome
    • Beeinträchtigungen
    • subjektive Krankheitsüberzeugungen
    • Krankheitsverhalten
    • Krankheitsbewältigung
  • Definition nach ACR:
    • Anamnese: CWP
    • Klinik: > 11/18 Tenderpoints
  • "Kontinuum des Symptomkomplexes": Subgruppen → CWP, FMS
  • Ausprägung der Symptome im zeitlichen Verlauf sehr stabil
  • Tender Points:
    • umschriebene Druckschmerzempfindlichkeit an Muskel-Sehnenansätzen definiert
    • Hinweis auf herabgesetzte Schmerzschwelle
    • Zahl der Tender Points korreliert mit Ausmaß des körperlichen und psychosozialen Distress

Diagnose

  • nach symptombasierten Kriterien (CWP + Steifigkeits-/Schwellungsgefühl Hände/Füße/Gesicht + Müdigkeit/Schlafstörungen)
  • fakultativ TP (für die klinische Diagnose nicht notwendig)
  • positive Kontrollpunkte schließen die Diagnose FMS nicht aus
  • Empfehlungen:
  1. Schmerzskizze
  2. Medikamentenanamnese (UAW?)
  3. körperliche Untersuchung/Ganzkörperstatus
  4. Labor
    • BSG, CRP, BB (DD Polymyalgia rheumatica, rheumatoide Arthritis)
    • Kreatinkinase (DD Muskelerkrankungen)
    • Kalzium (DD Hyperkalziämie)
    • TSH (DD Hypothyreose)
    • ANA/ANCA nur bei klinischen Hinweisen (Gelenkschwellungen etc.)
  5. systematische Erfassung assoziierter Symptome:
    • Körperliche Müdigkeit, vermehrte Erschöpfbarkeit
    • Kognitive Störungen (z.B. Konzentrations-/Merkfähigkeitsstörungen)
    • Morgensteifigkeit > 15 Minuten, Schwellungsgefühl Hände/Füße/Gesicht
    • Ein-/Durchschlafstörungen, nicht erholsamer Schlaf
    • Ängstlichkeit
    • Depressivität
  6. systematische Erfassung körperliche Symptome weiterer funktionell somatischer Syndrome:
    • GI-Beschwerden (z. B. Globusgefühl, Verdauungsbeschwerden, Stuhlunregelmäßigkeiten) → Reizmagen und Reizdarm
    • Miktionsbeschwerden (z. B. Dysurie, Algurie, Pollakisurie) → Reizblase
    • Kopfschmerz vom Spannungstyp
    • Gesichtsschmerzen, nächtliches Zähneknirschen → CMD
    • Chronische Unterbauchschmerzen → Chronic pelvic pain (Frau), Prostatodynie (Mann)
    • Herzbezogene Beschwerden (z. B. Palpitationen, thorakales Druckgefühl) → Funktionelle Herzkreislaufbeschwerden
    • Atembezogene Beschwerden (z. B. Gefühl der Atemhemmung) → Funktionelle Atembeschwerden
    • Ohrgeräusche, Geruchs- und Lärmüberempfindlichkeit, empfindliche Augen → Reizüberempfindlichkeit
    • Vermehrtes Frieren oder Schwitzen, Kältegefühl der Extremitäten
  7. Beeinträchtigungen in Alltagsfunktionen (Arbeit, Haushalt, Freizeit, Sexualität) → ICF-orientiert
  8. Ursachenüberzeugungen/subjektive Krankheitstheorie sowie Ressourcen/Bewältigungsstrategien/krankheitsfördernde Mechanismen
  9. aktuelle psychosoziale Stressoren (Beruf, Partnerschaft, Familie) und biographische Belastungsfaktoren (emotionale Vernachlässigung, körperliche und sexuelle Gewalterfahrungen, Aufwachsen mit mindestens einem chronisch kranken Elternteil)
  10. aktuelle/frühere psychiatrische/psychotherapeutische, Einnahme von Psychopharmaka
  • Weiterführende apparative Diagnostik: Bei typischem Beschwerdekomplex und fehlendem klinischen Hinweis auf internistische, orthopädische oder neurologische Erkrankungen (Anamnese und klinische Untersuchung ohne Hinweis auf andere Erkrankungen als Ursachen von Schmerzen und Müdigkeit, unauffälliges Basislabor siehe Empfehlung 12.), wird empfohlen, keine weitere technische Diagnostik (weiterführendes Labor, Neurophysiologie, Bildgebung) durchzuführen. "Evidenz"grad 5, Empfehlungsgrad offen, starker Konsens
 21. Fachärztliche/fachpsychologische Untersuchung: Eine fachpsychotherapeutische Untersuchung (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, ärztlicher oder psychologischer Psychotherapeut) wird bei folgenden Konstellationen empfohlen:
        1. Anamnestische Angaben von aktuellen schwerwiegenden psychosozialen Stressoren
        2. Anamnestische Angaben von aktuellen oder früheren psychiatrischen Behandlungen und/oder Einnahme von Psychopharmaka
        3. Anamnestische Angaben von schwerwiegenden biographischen Belastungsfaktoren
        4. Maladaptive Krankheitsverarbeitung
        5. Subjektive psychologische Krankheitsattributionen "Evidenz"grad 5, Empfehlungsgrad offen, Konsens 


Weblinks